Die wundersame Welt der Börsen-Bewertung

Man kennt das Phänomen in der Autowelt bislang vor allem von Tesla: Ein Hersteller von E-Autos mit Potenzial überflügelt im Marktwert locker die etablierten Autobauer. Soweit sind inzwischen auch «No Names» wie Rivian und Lucid.


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In der ökonomischen Wunderwelt von Negativzinsen und fortgesetzten Anleihenkäufen durch Nationalbanken (sprich in der Ära billigen Gelds) darf man sich über andere magische Momente nicht wundern. So einen gab es beispielsweise am 10. November dieses Jahres, dem Tag an dem Rivian an die Börse ging. Rivian sagt Ihnen nichts? Keine Schande, denn ausser in den USA (und neuerdings in Investorenkreisen) ist der Hersteller von Elektroautos kaum bekannt.

Jedenfalls, Rivian ging an diesem Tag im November an die Börse und war, in Marktkapitalisation gerechnet, flugs soviel Wert wie General Motors und mehr als Ford. Was besonders im Fall von Ford paradox klingt, hält das Traditionsunternehmen aus Dearborn doch – seit einer Investition von ursprünglich 500 Mio. $ im Jahr 2019, inzwischen auf 1,2 Milliarden aufgerundet - etwa 11 % am hierzulande noch weitgehend unbekannten Unternehmen. Nach herkömmlichen Massstäben gerechnet grenzt es an Wahnsinn, eine Firma dermassen hoch zu bewerten, die beim Börsengang (IPO) gerade mal 156 Fahrzeuge ausgeliefert hatte. Toyota verkauft gut 1000 Autos… pro Stunde.

Pingpong mit Tesla?

Nicht überraschend schwankte der Kurs in den ersten zwei Wochen nach dem Börsengang stark. Experten vermuteten unter anderem, dass zahlreiche Tesla-Aktionäre kurzfristig in Rivian-Papiere investierten und ihre Gewinne gleich wieder zu Tesla zurück transferierten; entsprechend gegenläufige Kursentwicklungen waren ein Indiz dafür. Zwei Wochen nach Börsengang stand die Rivian-Aktie aber immerhin 20 % über dem Endresultat vom Eröffnungstag, was einer Börsenkapitalisierung von satten 111 Milliarden US-Dollar entsprach.

Dabei hat Rivian eben erst angefangen, das erste Fahrzeug, einen Pickup-Truck, auszuliefern. Ein SUV auf derselben Plattform soll noch dieses Jahr folgen. Doch die Produktionskapazitäten, und damit auch die Möglichkeit, Geld zu verdienen, wachsen nur langsam: Rivian hat bereits mitgeteilt, dass es bis Ende 2023 dauern werde, die gut 55'000 Bestellungen für Pickup und SUV abzuarbeiten.

Die Börse in einer Parallelwelt

Einige Analysten sind denn auch der Meinung, dass die Anleger ihr Geld einfach dorthin werfen, worauf gerade die Scheinwerfer gerichtet sind und zu wenig tun um zu erkennen, welche Unternehmen wirklich stark sind. «Der Preisfindungsmechanismus des Marktes ist kaputt, und man kann die wirklichen Erfolgsgeschichten nicht sehen», sagte Mike O'Rourke von JonesTrading.

Das mag stimmen, hat aber auch damit zu tun, dass Geld billig und Gelegenheiten gar nicht so verbreitet sind. Wer in einen Hersteller von E-Autos investieren möchte, wird nicht VW- oder Renault-Aktien kaufen, auch wenn die etablierten Grössen den Wandel hin zur Elektromobilität inzwischen mit Elan vorantreiben.

Rivian: Fahrzeug im wichtigsten Segment

Und, es gibt auch Punkte, die für Rivian sprechen. Das Startup ist noch relativ jung und hat doch bereits eine funktionsfähige Serienproduktion aufgebaut. Zudem haben sie mit ihrem ersten «Auto», dem Pickup-Truck R1T ein Angebot im wichtigsten Segment des US-Marktes. Ford wird voraussichtlich nächstes Jahr mit dem elektrischen F-150 nachziehen. Derweil sieht es in der Produkte-Pipeline von Tesla grad nicht so gut aus, auch nicht bezüglich des längst angekündigten Pickups namens Cybertruck.

Wie Rivian hat mit Lucid ein weiteres amerikanisches E-Startup im Herbst 2021 seinen ersten Wagen an Kunden ausgeliefert, die Luxuslimousine Lucid Air. An der Börse ist Lucit seit Mitte letzten Jahres kotiert. Lang blieben die Kurse stabil, im letzten Monat aber legte das Wertpapier von 22 auf gut 50 Dollar zu, die Börsenkapitalisierung wuchs auf 85 Mia. US-$. Ein Konzern wie Stellantis, mit Marken von Opel über Fiat bis Chrysler und Maserati, ist nur gut 60 Milliarden Wert.

Weitere E-Option: Polestar

Wer sein Geld in einen reinen Elektroauto-Bauer stecken, aber partout Tesla vermeiden möchte, kann sich auch noch einige Monate gedulden, bis Polestar, das Tochterunternehmen von Geely/Volvo an den Start geht, wie auf mmCH.online berichtet.


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